Presse: junge Welt am 22. April 2021
»Die Drogenpolitik befindet sich in einer Sackgasse«
Die Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Daniela Ludwig von der CSU, hat kürzlich mitgeteilt, dass im vergangenen Jahr mindestens 1.581 Menschen aufgrund des Konsums von Drogen verstorben sind. Was ist der Grund für den neuerlichen Anstieg dieser Zahl?Das wirklich Dramatische ist, dass es die gleichen und seit vielen Jahren bekannten Gründe sind, warum Menschen, die illegalisierte Substanzen gebrauchen, sterben: Überdosierungen, Suizide, Tod durch Langzeitschäden in Kombination mit Intoxikationsfolge. Der Konsum gleicht unter den Bedingungen des Schwarzmarktes vielfach einem Glücksspiel. Wir sehen das unter anderem im Bereich des MDMA-Konsums, wo vielfache Mengen an Wirksubstanz enthalten sind. Auch der Reinheitsgehalt beim Kokain von bis zu 90 Prozent führt zu lebensbedrohlichen Situationen.
Hätten jene Menschen gerettet werden können?
Ich glaube ja. Schließlich ist es nicht gelungen, der stark steigenden Anzahl von Kokain- und Amphetaminkonsumenten irgendein passendes Angebot, zum Beispiel »Drug checking«, zu machen. Viele Verstorbene durch Langzeitschäden haben außerdem jahrzehntelange Verfolgung, Konsum von Schwarzmarktsubstanzen, Infektionen und Inhaftierung hinter sich. Der frühe Tod ist die Folge eines solchen Lebens.
Der europäische »Harm Reduction«-Bericht zeigt, dass viele europäische Länder landesweite Naloxonprojekte (Gegenmittel bei Opioidüberdosen, jW) haben. Auch hier liegen wir weit zurück, auch wenn der Bund dieses Thema ja aktuell angeht. Mir erscheint auch wichtig, dass die Substitutionsbehandlung einen niedrigschwelligen Zugang erhält wie beim Modell in Hamburg. 144 Drogentote in Verbindung mit Medikamenten zur Substitution – das zeigt deutlich, dass es viele Menschen gibt, die diese hochpotenten Medikamente konsumieren, aber nicht den Weg in die Substitutionsbehandlung finden.
Müsste es denn nicht zu einer radikalen Umkehr in der bundesdeutschen Drogenpolitik kommen?
Ja. Wir sehen, dass wir mit allen Maßnahmen der Repression, Prävention, Schadensminderung und Behandlung zu keiner Trendwende gelangen. Seit Jahrzehnten trifft die Prohibition punktuell den Handel und kriminelle Strukturen, aber 80 Prozent aller Strafanzeigen treffen Drogengebrauchende wegen konsumnaher Delikte. Trotz Prohibition sehen wir ein Mehr an Substanzen, Konsumierenden und Toten. Das muss die Handelnden zum Nachdenken und auch zu einer Kurskorrektur bewegen. Zudem konterkariert die Kriminalisierung die Erfolge und Effekte der Schadensminderung.
Inwiefern?
Über Wochen, Monate und Jahre mühsam errungene Erfolge werden durch erneute Strafverfolgung, Bewährungswiderrufe und Inhaftierungen konterkariert. Die Drogenpolitik befindet sich in einer Sackgasse. Wir müssen mutig sein und Konsumentinnen, Konsumenten sowie die Gesellschaft insgesamt durch intelligente Regulierungsmodelle schützen und gleichzeitig kriminelle Strukturen begrenzen.
Welche konkreten Maßnahmen erwarten Sie von der Drogenbeauftragten der Bundesregierung?
Die konkreten Maßnahmen im Hilfesystem sind allseits bekannt und werden ja auch in ihrer Mehrheit von der Politik unterstützt. Aber das reicht nicht mehr. Die wirklich desolaten Ergebnisse, die niemand schönreden kann, zeigen, dass illegalisierte Substanzen mehr denn je in der Mitte der Gesellschaft angekommen sind und die Kriminalisierung der Substanzen sowie der Menschen keinerlei Erfolge zeigt. Die Gesamtsituation ist allein durch eine Ausweitung von Hilfemaßnahmen nicht mehr zu verändern oder gar zu heilen.
Und was folgt daraus?
Der Bund muss nun eine Expertenkommission aus Wissenschaft, Medizin, Praxis und Selbstorganisationen installieren. Es gilt die Wirksamkeit bisheriger Strategien zu prüfen, und dann kann es nur um eine Frage gehen: Was kann wirksam sein, um den Schwarzmarkt und kriminelle Strukturen zurückzudrängen sowie Konsumentinnen und Konsumenten zu schützen, zu behandeln und ihre Kriminalisierung zu beenden?
Interview: Markus Bernhardt